Lesetipp

Es ist sehr lange her, dass wir an dieser Stelle einen Marklund-Roman vorstellen durften: Im Sommer 2010 stellten wir „Kalter Süden“ vor. Nun gibt es endlich einen weiteren Kriminalroman aus der Annika-Bengtzon-Reihe, den wir für Winterabende empfehlen:

Liza Marklund,
Jagd,
Ullstein Verlag, Berlin 2015.

Wir geben zu: Eigentlich ist es nicht ganz so lange her, denn "Jagd" ist bereits 2013 erschienen. Wir haben uns ein wenig Zeit gelassen, weil es so viele spannende Bücher zu besprechen galt. Inzwischen ist bereits die 2. Auflage von "Jagd" auf dem Buchmarkt.

Reporterin Annika Bengtzon ist multimedial geworden und schreibt nicht mehr nur, sondern produziert auch Bewegtbild: "Schnell und effektiv. Ein paar Aufnahmen für das Web TV und ein Zitat von einem Polizisten, und dann musste sie nur noch aus den bruchstückhaften Fakten eine Geschichte zusammenstricken."

Chefredakteur im Blogger-Shitstorm

Man liest die irritierte Distanz der Autorin heraus, die dieser Art von Crossmedia skeptisch gegenüber steht. Allerdings hat sich auch hier in den vergangenen zwei Jahren einiges getan. Der Umgang mit dem Medium ist professioneller geworden und Crossmedia steht auch längst nicht mehr dafür, schlicht noch ein paar Kanäle on top zu bedienen und nach Schema F zu arbeiten. Doch das ist ein anderes Thema.

Spannend ist die Parallelhandlung in der Redaktion – Marklund-Kenner wissen, dass sie ihre Geschichten immer aus verschiedenen Erzählebenen komponiert -, wo sich Chefredakteur Anders Schyman diesmal gegen die Rufmord-Kampagne eines Blogs behaupten muss. "Er beugte sich näher zum Bildschirm. Was in aller Welt war denn das? Natürlich behaupten manche, er habe seine Ethik und seine Moral auf dem Altar der Eignerfamilie und des Kapitalismus geopfert, als er das staatliche Fernsehen verließ und Schwedens unseriösestes und marktschreierischstes Revolverblatt übernahm.."

Schyman, Chefredakteur des Abendblatt, nimmt im Folgenden den Kampf auf, lernt Shitstorms und ihre Mechanismen kennen und muss entscheiden, ob er seinen geplanten Rücktritt aufrecht erhält oder nicht. "Es war kein schlechter Ausstieg. Die Zahlen des Vorjahres waren stabil geblieben, sie hatten das Abendblatt als Schwedens größte Nachrichtenzeitung etabliert. Er hatte den Konkurrenten aus dem Feld geschlagen, und jetzt war es an der Zeit, einmal Pause zu machen."

Mehr Medienkritik geht nicht

Marklund gräbt sich ein in Schymans Hirn und lässt ihn die Konsequenzen des Blogger-Streits durchspielen: "Bis er den Abgrund erreichte, stand ihm ein Spießrutenlauf bevor. Er würde durch die Schlagzeilen gehetzt werden, bis der Vorstand keine Lust mehr hatte, ihm Rückendeckung zu geben und ihn feuerte. Genau wie alle anderen, die 'entlarvt' wurden und zurücktraten." Mehr Medienkritik geht nicht – der Redaktionsleiter in der erbarmungslosen Selbstreferenzialität einer Medienmaschine.

Annika Bengtzon bleibt in ihrer Redaktion der Sonderling, eckt mit ihren Ansichten und ihrer immer leicht mit sich selbst hadernden Berufseinstellung an. "Du faselst doch immer davon, dass wir das Wort nicht missbrauchen und jede Sache aus allen Perspektiven betrachten sollen, Verantwortung für unsere Interviewpartner übernehmen müssen und nicht gleichzeitig als Ankläger, Richter und Henker auftreten können", wird sie vom eigenen Nachrichtenchef provoziert.

Redaktioneller Pulsschlag nur noch Erinnerung?

Marklund nimmt den Leser erneut mit auf eine skandinavisch-hart geschilderte Verbrechersuche und dockt immer wieder im redaktionellen Alltag an, der eine Art Grundrauschen erzeugt: "Nachdem der Schwerpunkt der journalistischen Arbeit sich vom Papier ins Internet verlagert hatte, waren die scharfen Kanten aufgeweicht, die festen Zyklen verschwunden, der redaktionelle Pulsschlag nur noch Erinnerung. Es gab keine Deadlines mehr, oder besser gesagt: Jede Sekunde war eine neue Deadline."

Die Deadline der Krimihandlung ist in diesem Band eine andere. Das Verbrechen ist bereits geschehen und ein anderer Fall, der die polizeilichen und journalistischen Ermittler beschäftigt, liegt schon viele Jahre zurück. Dennoch schafft es Marklund mit ihrem besonderen und dichten Erzählstil, den Leser in der Spannung zu halten. Und eine kleine Überraschung präsentiert sie auch diesmal auf den letzten Seiten.

Demokratie- und Geschmacksfragen

Chefredakteur Schyman ergreift mitten in der Social-Media-Schlammschlacht die Flucht nach vorn und hebt via Web-TV zu einem Statement an, das vor dem Hintergrund der widerwärtigen Kommentarwelle zum Flüchtlingsdrama neue Aktualität erhalten hat: "Die Menschen müssen vor Drohungen und Beleidigungen geschützt werden, und damit meine ich nicht in erster Linie die Chefredakteure großer Zeitungen, sondern die Jugendlichen auf Facebook, Twitter und in anderen sozialen Foren, Feministinnen, Sportkommentatoren sowie Blogger gleich welcher Überzeugung und Herkunft.. Hier geht es um eine Demokratiefrage von höchster Wichtigkeit."

Den Verlag finden Sie online unter www.ullsteinbuchverlage.de/verlage/ullstein.html.